Trügerische Stille

Coronavirus: Zu Besuch auf der Intensivstation des Krankenhauses Eichhof in Lauterbach

Die Menschen, die das Coronavirus besonders schlimm erwischt hat, landen auf der Intensivstation. Zum Beispiel auf der des Krankenhauses Eichhof in Lauterbach. Eine Reportage von Luisa Stock über einen Ort, an dem es bedrückend still sein kann – obwohl es um Leben und Tod geht.

Fast schon unnatürlich weit bläht sich sein Brustkorb auf, bis er beim Ausatmen ruckartig in sich zusammenfällt. Stockend, wellenartig, unsanft. Wieder und wieder. Die Abstände sind gering. 28 Atemstöße in einer Minute sind es, die der große Überwachungsmonitor an seinem Bett anzeigt. Eine Frequenz von zehn wäre normal. Jeder Atemzug strengt an, jede Bewegung verlangt ihm enorme Kraft ab. Kraft, die er derzeit nicht hat.

Es ist ruhig in seinem Zimmer. Kein Fernseher, kein Radio. Nichts. Das monotone Piepen des Monitors und die Luft, die sanft und leise durch einen großen Schlauch an seinem Hals in seinen Körper strömt, sind das Einzige, was die beinahe schon bedrückende Stille durchbricht. Der Schlauch führt über einen kleinen Schnitt, genau unterhalb des Kehlkopfes an der Vorderseite des Halses, in die Luftröhre. So werden seine Lungen mit hohem Druck direkt mit Luft gefüllt. Nur so bekommt sein Körper noch genügend Sauerstoff. Schon eine ganze Zeit ist das so. 15 Liter Luft pro Minute braucht er. Bei einem gesunden Menschen sind es etwa acht.

Der für die Luft ist der prägnanteste, aber von seinem Körper führen noch etliche andere Schläuche links wie rechts weg und enden an massiven Gerätschaften, die das Bett überthronen und den größten Teil des Raums einnehmen. Über die Kabel an seinem Körper laufen in grünen, gelben und roten Linien auf dem großen Monitor Herzfrequenz, Sauerstoffsättigung und der Blutdruck zusammen, über wieder andere Leitungen kommen Medikamente und Flüssigkeit in seinen Körper. Von alleine kann er nicht trinken, nicht essen. Zu schwach ist er durch die Krankheit.

Die vielen Gerätschaften, sie registrieren auch seine Körpertemperatur. Die ist noch immer zu hoch. Er hat Fieber. Seit Tagen immer wieder, in Wellen. Dann versuchen die Pfleger ihn mit nasskühlen Tüchern runter zu kühlen, schlagen die Bettdecke zurück. Auch in diesem Moment braucht er sie nicht, sie dient mehr zur Stabilisierung seines schmächtigen, aber durchaus sportlichen Körpers, als ihn zu wärmen.

Das Zimmer ist abgedunkelt, von dem sonnigen Tag draußen bekommt er nicht viel mit. Es ist unklar, wie viel er überhaupt mitbekommt. Obwohl er bei Bewusstsein ist, spricht er nicht. Den weiten Ausblick von seinem Fenster auf der Intensivstation über die Dächer der Stadt sieht er nicht. Seine Augen haben sie ihm abgeklebt, weil er sie selbst nicht mehr schließen kann. Sein Körper ist gezeichnet von den Strapazen der letzten Tage, der Kopf überstreckt nach hinten auf das Kissen gedrückt. Er dreht ihn darauf hin und her, wirkt unruhig, krümmt sich angespannt, auch wenn es Kraft kostet.

Ein sachtes Rascheln durchfährt die Stille. Für einen winzigen Augenblick und kaum merklich entweicht die Spannung in seinem Körper. Seine aufgeregten Bewegungen werden sanft, sein Kopf dreht sich zaghaft in Richtung des Knisterns, das der blaue Schutzkittel von sich gibt. Er hört die Stimme der Pflegerin, bedächtig legt sie eine Hand auf seine Schulter. Er weiß, jemand ist da, er spürt die Nähe eines anderen Menschen.

Ruhe auf dem langen, nüchternen Flur der Intensivstation

13.22 Uhr, Schichtwechsel auf der Intensivstation im Krankenhaus Eichhof in Lauterbach. Auf dem langen, nüchternen Flur der Station ist nicht viel zu hören. Alles wie immer, aber doch irgendwie anders, seit Wochen schon. Die breiten Schiebetüren zur rechten Seite des Flurs sind geschlossen. Das wenige Tageslicht, das durch die großen Fenster der Patientenzimmer fällt, reicht nicht aus, um Sonnenstrahlen bis in den Flur zu werfen. Hier ist es das künstliche Licht der Deckenlampen, das bei Bewegung weiche, schnelle Schatten auf den hellbeigen Boden wirft. Von außen dringt wenig ein, die große Tür am Eingang ist verschlossen und lässt sich nur mit einem Schlüssel öffnen. Abgeschirmt ist man hier, vom Trubel der Außenwelt – und dennoch an vorderster Front, so nah dran, wie kaum jemand sonst.

Nah dran am Coronavirus, diesem winzigen Etwas, das die gesamte Welt buchstäblich zum Stillstand gebracht hat; wegen dem die Politik Grundrechte einschränkt, als seien wir im Krieg. Und wegen dem es auch so viele Opfer gibt, als gäbe es diesen Krieg tatsächlich. Weil das Virus neu ist, ist auch die Lungenkrankheit mit dem sperrigen Namen Covid-19, die es auslöst, noch wenig erforscht. Der Großteil der Menschen übersteht eine Infektion mit dem Erreger gut. Wen es härter trifft, der landet auf der Intensivstation. Was in China begann, erreichte Anfang März den Vogelsberg. Die Gesundheitsbehörden registrierten eine erste Infektion mit leichten Symptomen. Zu diesem Zeitpunkt war das Krankenhaus in Lauterbach schon vorbereitet.

Besuche der Patienten wurden eingeschränkt, öffentliche Räume in der Klinik geschlossen. Mittlerweile herrscht ein komplettes Besuchsverbot im Krankenhaus. Der Eingang ist mit rot-weißem Band abgesperrt. Jeder, der das Krankenhaus betritt, bekommt Fieber gemessen. Planbare OPs wurden verschoben, die Kapazitäten auf der Intensivstation noch vor einer offiziellen Anordnung dazu ausgebaut, eine extra Isoliermöglichkeit für Infizierte geschaffen. Erst kürzlich kamen nochmal zwei Beatmungsgeräte hinzu, 13 gibt es nun insgesamt. Es ginge noch mehr, wenn sie improvisieren, andere Maschinen umfunktionieren würden, sagen sie in Lauterbach. Doch das wäre in den Augen der Ärzte hier keine gute Medizin mehr. Dazu soll es nur im äußersten Notfall kommen.

Alles wird gründlicher als sowieso schon gereinigt, die Mitarbeiter ziehen nach Feierabend andere Freizeitkleidung an als die, mit der sie ihre Schicht begonnen haben. Der Fahrstuhl von der Notaufnahme führt nur noch direkt auf die Isolierstation oder auf die Intensivstation in der dritten Etage. Keine Zwischenstopps, um unnötige Kontakte zu vermeiden.

Den Ernstfall haben sie regelmäßig geprobt, seit der ersten bekannten Infektion im Vogelsberg tagt täglich ein Corona-Krisenstab. Und dann, etwa zwei Wochen nach dem ersten Patienten im Kreis, der wo anders behandelt wurde, war er da, der Ernstfall für die Ärzte in Lauterbach. Zwei Corona-Patienten kamen auf ihre Intensivstation. Seither lagen fünf Infizierte im Krankenhaus Eichhof, drei sind an diesem Montag im April noch immer da – zwei auf Intensiv, einer auf der Isolierstation. Er ist nicht mehr infektiös.

Vom hinteren Teil der Station ertönen Stimmen. Um die hohe Stationstheke am Pflegestützpunkt haben sich rund um Stationsleitung Michael Schimanski acht Intensivpfleger hinter einer hohen Scheibe versammelt, teilweise auf Stühlen vor den Monitoren, teils an die Wände gelehnt. Im Hintergrund an der Wand hängt ein großes Bild mit Mohnblumen, es ist eines der wenigen auf der sonst steril und trist gehaltenen Abteilung. Hier, auf der Intensivstation, steht das Wesentliche im Fokus: das Retten von Menschenleben.

Es ist Zeit für die tägliche Corona-Runde mit dem gesamten Team, wie Pflegeleitung Schimanski die Zusammenkunft zum Schichtwechsel nennt. Seit fünf bis sechs Wochen macht das Team das, bei jedem Schichtwechsel im Tagdienst. Da werden die Fortschritte der Patienten besprochen, sich ausgetauscht. An diesem Montag allerdings ist ein besonderer Tag: Nach vier Wochen Lockdown durften viele Geschäfte wieder öffnen. Schon auf dem Weg ins Krankenhaus hat Schimanski die Veränderungen gespürt und beobachtet. Was er da sah, gefiel ihm nicht.

„Leute, das ist nicht gut“, sagt er in besorgtem, aber dennoch ruhigem Tonfall in die Runde. Schimanski hat Angst, die gute Ausgangslage im Kampf gegen das Virus zu verspielen. Man sei in dieser Pandemie noch nicht über dem Berg, die Lockerungen seien keine Entwarnung, erklärt der 49-Jährige und blickt mit freundlichen Augen über seine hellgrüne OP-Maske hinweg in Richtung Ende des Flurs. Dort, wo in den Zimmer 3 und 4 derzeit zwei Corona-Patienten liegen. Beide sind ohne Vorerkrankungen.

Corona-Runde zum Schichtwechsel

Hier auf der Intensivstation kennt man die Bilder aus Italien oder Spanien, wo Patienten auf Krankenhausfluren liegen, weil nicht genug Zimmer zur Verfügung stehen, wo Militärtrucks die Toten in weißen Leichensäcken abtransportieren. Man hat davon gelesen, wie Mediziner trotz eigener Infektion weiterarbeiten. Man kennt die Berichte, in denen Ärzte und Pfleger davon erzählen, wie sie entscheiden, wen sie beatmen und wen sie sterben lassen, weil zu wenig Beatmungsgeräte zur Verfügung stehen.

Mit allen Mitteln soll das in Deutschland verhindert werden. Die ersten Maßnahmen, der Stillstand unseres Lebens, so wie wir es kennen, schienen gut zu funktionieren. Im Rhein-Main-Gebiet kam das Gesundheitssystem dennoch an seine Grenzen. Von dort aus werden nun Patienten nach Osthessen gebracht. Ob auch das Krankenhaus Eichhof Infizierte zugeteilt bekommt, entscheidet das Klinikum Fulda. Das Klinikum ist eine „Level 1“-Klinik, eine Koordinationsstelle in der Corona-Krise, mit dem sich die „Level 2“-Kliniken wie Lauterbach eng austauschen.

In nötiger Kürze, aber dennoch ausführlich, geht die Corona-Runde vonstatten. Alles Wichtige im Überblick, bevor es zu den Patienten geht. Die pflegerische Patientenübergabe steht an, in Zweier-Teams aufgeteilt. Einer, der die Schicht übergibt und danach Feierabend hat, ein anderer, der die neue Schicht beginnt.

Sechs Patienten liegen zu dieser Zeit auf der Intensivstation in Lauterbach, vier davon als Nicht-Corona-Patienten im vorderen Teil des langen Flures. „Nicht Corona-Intensivfälle gibt es auch noch, aber deutlich weniger“, sagt Schimanski. Die Zahl der eingelieferten Herzinfarkte beispielsweise ist deutlich geringer als sonst, weil die Menschen offenbar Angst vor einer Ansteckung in der Klinik haben. Das Eichhof nimmt dazu mittlerweile sogar an einer Studie teil. Nach Einschätzung vor Ort sind auch in Lauterbach die Aufnahmen von Akutpatienten mit Herzinfarkt analog zum bundesweiten Trend um etwa ein Drittel gesunken.

Für Schimanski geht es schnellen, aber bedachten Schrittes in den hinteren Teil, der mit einer hölzernen, hüfthohen Hürde abgetrennt ist. Auf dem Zettel darauf ist in roten Buchstaben „Zutritt nur in Schutzkleidung“ zu lesen. Dahinter verbirgt sich der Teil der Arbeit, dem selbst der erfahrene Mediziner mit Respekt begegnet – auch, weil es sein Privatleben nochmal anders als bei uns allen massiv beeinflusst. Den Kontakt mit seiner engsten Familie hat er auf ein Minimum reduziert, aus Sicherheitsgründen.

Vor den breiten Schiebetüren der Corona-Zimmer stehen Wagen mit Schutzkleidung. Grüne Hauben, blaue Schutzkittel, Schutzbrillen, Desinfektionsmittel, Boxen mit Latexhandschuhen und Schutzmasken mit der Bezeichnung, die mittlerweile jeder schon mal gehört hat: FFP2 und FFP3. In diesem hinteren Teil der Intensivstation ist der eigene Schutz und der der Patienten von besonderer Bedeutung, doch das Anlegen der Ausrüstung braucht Zeit. „Das hat sich wohl mit am meisten verändert an unserer Arbeit. Es dauert deutlich länger, bis man die ganze nötige Schutzkleidung angezogen hat“, sagt Schimanski und blickt auf.

Eine Pflegerin macht sich fertig, das bekannte Rascheln des blauen Schutzkittels ist zu hören. Erst wenn der angezogen, die Schutzbrille angelegt ist, die Haube sitzt, die Handschuhe übergestreift sind und zuletzt die Schutzmaske an die Nase gedrückt wurde, darf sie rein. Schnell und routiniert öffnet sie die Schiebetür, die hinter ihr luft- und virendicht schließt. Das Zimmer hat keine Schleuse mit zwei Türen, deswegen muss das Öffnen und Schließen des Eingangs zügig vonstatten gehen. Das Personal hat das extra geübt.

Schimanski hat lange Erfahrung, eine hohe Expertise. Seit 1998 arbeitet er im Eichhof, bereits 1991 leistete er seinen Zivildienst dort, seit drei Jahren ist er die Stationsleitung auf der Intensivstation. Das, was ein Virus mit einem scheinbar völlig gesunden 50-Jährigen machen kann, hat er so noch nicht gesehen, sagt er – wenn auch schwerkranke Patienten nichts Ungewöhnliches auf einer Intensivstation sind. Große Glasscheiben in Tür und Wand lassen zu jeder Zeit einen Blick auf den Patienten zu. Schimanski beobachtet das Geschehen im Raum mit wachem Blick. Routiniert überprüft die Pflegerin die Vitalfunktionen des Patienten, verabreicht ihm Medikamente, spricht mit ihm, beruhigt ihn.

„Das Virus macht auch vor Menschen ohne Vorerkrankungen keinen Halt“

„Das Virus macht auch vor Menschen ohne Vorerkrankungen keinen Halt. Auch die können einen schweren Verlauf haben“, sagt Schimanski mit ernstem Ton, während er dem Geschehen im Zimmer folgt. Es ist ihm wichtig, dass die Menschen das wissen. Darauf seien er und sein Team zunächst nicht vorbereitet gewesen, auch nicht darauf – und das schockiere ihn noch immer – wie lange die Patienten gegen die Krankheit kämpfen. Ausgegangen sei man anfangs von zwei Wochen, doch die Patienten mit schweren Verläufen liegen meist mehrere Wochen auf der Intensivstation, die Lunge stark in Mitleidenschaft gezogen.

Wenn Patienten ankommen, werden sie direkt im Rettungswagen begutachtet, die meisten schweren Fälle werden in ein künstliches Koma gelegt und intubiert, also über ein zum Beispiel durch den Mund verlegten Schlauch beatmet. Sieben bis zehn Tage in etwa bleiben sie intubiert. Sobald sie stabiler sind, wechseln die Ärzte bei der Beatmungsmethode zur leichter verträglicheren Tracheotomie durch den Luftröhrenschnitt, um die Patienten wieder zu Bewusstsein kommen zu lassen. Damit hat man in Lauterbach gute Erfahrungen gemacht, denn so können Patienten gut vom Beatmungsgerät entwöhnt werden.

Bislang ist ein Mann, der zunächst in Lauterbach behandelt wurde, später in Fulda verstorben. „Er war leider schon sehr krank, als er hier ankam“, erzählt Schimanski. In Fulda kam der Mann an ein ECMO-Gerät, eine künstliche Lunge – in einigen wenigen Fällen ist sie die allerletzte Chance, die den Ärzten bei Covid-19 übrig bleibt. Doch die Prognosen waren schlecht, die Vorerkrankungen des Mannes zu massiv.

Die Hoffnung dürfe man aber nicht verlieren, egal wie krank die Menschen sind, sagt Schimanski und blickt auf das Doppelzimmer 1 und 2, das letzte Zimmer am Ende der Intensivstation. Die einzige Tür in der Abteilung, die offen steht. Bis vor Kurzem lag hier noch ein Patient, doch mittlerweile konnte der Mann auf die normale Isolationsstation verlegt werden. „Das war wirklich sehr bewegend und für das Team motivierend, ihn nach all der Zeit von unserer Station zu entlassen“, erinnert sich Schimanski und blickt zu der offenen Tür.

Es ist nicht nur der Körper, der unter dem Virus leidet. Es ist auch die Psyche. „Mitten aus dem Leben wird man gerissen und das für längere Zeit, an die man sich danach kaum erinnern kann“, sagt Schimanski. Das zu verarbeiten ist nicht leicht. Die Lauterbacher Ärzte haben sich Gedanken gemacht, wie sie ihren Patienten dabei helfen können, Kontakt zu der Familie zu halten oder sich besser zu erinnern. Die Hilfe kann denkbar einfach ausfallen: Wenn Pfleger zum Beispiel das Smartphone halten, damit die Patienten per Videotelefonie ihre Liebsten sehen. Viele haben dafür selbst nicht genügend Kraft. In anderen Krankenhäusern führt das Personal eine Art Tagebuch für Patienten, um später Erinnerungslücken zu schließen. Eine Idee, die auch die Lauterbacher aufhorchen ließ.

Aus Zimmer 3 ist ein lautes, krächzendes Husten zu hören, die Schiebetür öffnet sich und die Intensivpflegerin kommt wieder heraus. Ein Großteil der Schutzkleidung hat sie noch im Patientenzimmer ausgezogen und entsorgt, alles hinter der Tür könnte kontaminiert sein. Die Schutzmaske nimmt sie draußen ab. Die Maske schnürt ein, es ist der deutlichste Schmerz, den die Mediziner nach Feierabend spüren. Schimanski tritt nach vorn an die Tür, wo die Patientenkurve parat liegt. Eine Seite, ein Tag – mit allen wichtigen Veränderungen und Daten.

Heute ist der Patient sehr aufgeregt, erzählt die Pflegerin. Deshalb hat er Tavor, ein Schlaf- und Beruhigungsmittel, bekommen. Das Fieber ist noch immer hoch und der Körper schweißig, Paracetamol soll ihm helfen. Die Leukozyten sind gestiegen, doch sein Auswurf ist noch immer grün, zäh und eitrig. Der Mann hat noch einen längeren Weg vor sich, ehe der Kampf gegen das Virus gewonnen ist.

Zurück in ein Leben nach Corona

Sein 79-jähriger Nachbar auf Zimmer 4 ist schon weiter. An diesem Tag hat er Besuch von seiner Ehefrau. Durch die Scheibe, denn das Zimmer darf auch sie nicht betreten. Ihre Augen strahlen, ihr Mund ist durch eine OP-Maske verdeckt, sie scheint zu lächeln und winkt. Noch immer sichtbar geschwächt hebt ihr Mann den Arm und winkt zurück. Ein Fortschritt, der für große Freude sorgt, nicht nur bei seiner Frau, auch bei den Pflegern. Wie lange er noch bleiben muss, ist nicht bekannt, vielleicht aber kann er die Intensivstation schon bald verlassen, zurück in ein Leben nach Corona.

Stationsleitung Michael Schimanski und sein Team sind bereit für den Moment, in dem der nächste Patient mit dem potenziell tödlichen Virus ihre Hilfe braucht – und irgendwann, nachdem der lange, nüchterne Flur der Intensivstation hinter ihm liegt, wieder das tut, was für die meisten von uns so selbstverständlich ist: frei von Angst ein- und auszuatmen.


Tobias Plücker - Chefarzt der Inneren Medizin und Kardiologie und Hygieneverantwortlicher Arzt

„Die ganze Situation ist für mich irgendwie unwirklich, aber nicht beängstigend. Man hat es mitbekommen aus China, aber jetzt ist es real und doch so unreal zugleich. In unserem Beruf ist man schwere Krankheiten gewöhnt, weshalb man gut mit umgehen kann. Die Patienten haben alle die klassischen und bekannten Symptome gezeigt: Husten, hohes Fieber und schwere Luftnot. Auch die Störung des Geruchs- und Geschmackssinns hatten wir. Schwere Verläufe zeichnen sich vor allem durch extreme Lungenschädigungen aus. Nur einen Sonderfall hatten wir, den wir durch Zufall entdeckten. Das war eine Patientin, die eigentlich wegen etwas ganz anderem hier im Krankenhaus war und gar keine Symptome zeigte, aber dennoch positiv getestet wurde. Vorher lief sie ganz normal auf der offenen Station herum und nur durch das Gesundheitsamt wurden wir informiert, dass Familienmitglieder positiv getestet wurden. Daraufhin haben wir über 25 Leute getestet, angesteckt hat sich glücklicherweise niemand.

Covid-19 ist nicht wie eine normale Lungenentzündung, die meist mit einem Antibiotikum behandelt werden kann. Wenig später zeigt sich dabei, dass das Antibiotikum anschlägt. Bei Covid-19 ist es eine andere Situation, bei einem Virus hilft kein Antibiotikum. Die Lungen, die wir auf den Röntgenbildern sehen, sind stark geschädigt und sehen auch sehr lange Zeit erschreckend schlecht aus. Die langwierigen Verläufe sind dabei die besondere Problematik dieser Erkrankung, teilweise müssen die Patienten drei bis vier Wochen lang beatmet werden, werden häufig bei schwerem Lungenversagen auf dem Bauch gelagert, um die Lunge zu entlasten.

Die Daten zur Sterblichkeit von Covid-19-Patienten auf Intensivstationen schwanken sehr stark und liegen in Gesundheitssystemen mit geordneter Funktion zwischen 30 und 60 Prozent. Unsere ‚Quote‘ liegt aktuell etwas besser, wenn wir mal den von uns nach Fulda verlegten und dort verstorbenen Patienten in ‚unsere‘ Statistik mit einrechnen. Wir hätten damit aktuell bei insgesamt fünf behandelten Patienten einen Verstorbenen, also 20 Prozent. Allerdings sind ja auch noch nicht alle Behandlungen abgeschlossen.

In Regionen, wo das Gesundheitssystem überlastet wird, steigt die Sterblichkeit auf Intensivstationen wohl teilweise auf über 90 Prozent, so wird es beispielsweise aus New York berichtet. Davon sind wir hier glücklicherweise derzeit weit entfernt.“


Michael Schimanski - Pflegerischer Leiter und Stationsleitung der Intensivstation

„Ich würde es eigentlich nicht Angst nennen, aber Respekt habe ich vor dem Virus allemal. Ich sehe hier auf unserer Station, was es mit den Patienten macht, auch mit vorher augenscheinlich gesunden Patienten – ganz genau wissen, wie es den Menschen vorher ging, kann man natürlich nie. Dennoch habe ich ein wenig Angst, mich an der Arbeit anzustecken und die Angst schwingt auch immer mit. Hier auf Station gibt es viele Vorsichtsmaßnahmen, auf die wir extrem achten, Schutzkleidung ist genügend vorhanden. Aber für mich und mein Team heißt Corona vor allem eines: privater Verzicht. 

Wir achten sehr diszipliniert darauf, im Alltag möglichst keine sozialen Kontakte zu haben, nicht unnötig einkaufen zu gehen. Ich schlafe seit vier Wochen nicht mehr mit meiner Frau in einem Schlafzimmer, damit ich nicht Gefahr laufe, sie anzustecken, sollte ich mich selbst bei der Arbeit infiziert haben. Im häuslichen Umfeld versuche ich Kontakte also zu reduzieren, auch was meinen Sohn betrifft. Er hat sein Abitur geschrieben und das wollte ich nicht gefährden. Das ganze Team hier macht private Abstriche und leistet dann eine herausragende Leistung, die nicht nur zeitintensiv ist und mehr Arbeitsbelastung bedeutet, sondern auch psychisch einiges abverlangt. Das ist eine große solidarische Leistung hier von jedem Einzelnen.“


Dr. Norbert Sehn - Chefarzt Anästhesiologie und Intensivmedizin

„Als der erste Corona-Patient hier im Krankenhaus Eichhof ankam, habe ich ihn persönlich im Rettungswagen in Empfang genommen. Er war zu diesem Zeitpunkt schon schwer krank, bekam sehr schlecht Luft. Die Lunge war stark beschädigt. Im Rettungswagen nehmen wir die erste Einschätzung vor und schicken die Patienten dann gezielt auf die richtige Station. In diesem Fall wussten wir, dass es ein Corona-Patient ist, es ging für ihn also sofort hoch auf die Intensivstation, ohne Umwege. Das haben wir alles vorher wochenlang geprobt, haben jeden Schritt vorbereitet. Die Realität kam dann aber ganz schnell – und sah anders aus.

Gleich der erste Patient hat gezeigt, dass es etwas ganz anderes ist, als eine normale Lungenentzündung. Es braucht dazu eine ganz andere Behandlung, die wir so noch nicht haben. Es gibt noch kein Medikament. Das macht mir keine Angst, aber ich habe großen Respekt davor, zumal es als ungewohnte Situation auch Stress auslöst. Man muss versuchen, dass man diese Erfahrungen nicht mit nach Hause nimmt, dass man versucht, abzuschalten. Das funktioniert bei mir meistens sehr gut, aber ganz los lässt es einen nicht. Seit der erste Patient hier nach Lauterbach kam, war ich jeden Tag hier. Ausnahmslos.“