Psychische Belastung bei den Mitarbeitern nimmt weiter zu

Die Corona-Infektionen steigen täglich weiter an. Viele Kliniken sind am Limit, haben kaum noch freie Intensivbetten. Die Situation in den Krankenhäusern ist dramatisch: Keiner weiß, wie sich die Corona-Lage in Zukunft entwickelt. Wir haben in den Kliniken in Osthessen nachgefragt. So ist die Lage aus Sicht von Tobias Plücker, Chefarzt Innere Medizin/Kardiologie und Hygieneverantwortlicher Arzt in der Eichhof-Stiftung in Lauterbach (Vogelsbergkreis).

Die Zahl der Corona-Neuinfektionen erreicht stetig neue Tageshöchststände in Hessen: Droht den Krankenhäusern der Corona-Kollaps?

"Die Lage in den Krankenhäusern ist deutlich angespannter und dramatischer als im Frühjahr. Ein Kollaps droht uns bisher aus meiner Sicht nicht, aber die Lage erfordert bereits jetzt jeden Tag viel Improvisationstalent und außergewöhnliche Anstrengungen des Personals in allen Bereichen, insbesondere natürlich in denen mit direktem Kontakt zu Corona-Patienten. Aktuell schauen wir zum Beispiel von Tag zu Tag, wer wie viele Patienten in welchem Bereich versorgen kann oder muss. Mit einem vorausgeplanten, stabilen Dienstplan hat das gar nichts mehr zu tun. Im Frühjahr gab es eine beispiellose Welle der Solidarität, jetzt erfahre ich eine gewisse Corona-Müdigkeit auf vielen Ebenen. Dies macht so manche Situation und auch Diskussion im Krankenhaus schwieriger."

Immer mehr Kliniken melden Personalengpässe, weil Mitarbeiter krankheitsbedingt ausfallen oder sich gar selbst mit Corona infiziert haben: Muss notfalls - wie beispielsweise in Bayern oder Bremen - auch infiziertes Personal zum Einsatz kommen?

"Auch wir haben zunehmend krankheitsbedingte Ausfälle. Dabei sind es weniger tatsächliche Corona-Infektionen bei dem Personal als vielmehr andere "banale" Erkrankungen, die zur Dienstunfähigkeit führen. Außerdem gibt es natürlich bei dem diffus steigenden Infektionsgeschehen auch vermehrt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in Quarantäne sind.


Bemerkbar macht sich dabei auch die hohe psychische Belastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter insbesondere in den Risikobereichen, wie z.B. der Corona-Station, sodass kaum noch Möglichkeit zur Kompensation besteht. Da nur wenig Personal direkt mit Corona infiziert ist, hilft ein Einsatz von asymptomatischen, positiv getesteten Kolleginnen und Kollegen natürlich nicht weiter. Bei zunehmender Anzahl an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Quarantäne ist eher eine Verkürzung dieser Maßnahme durch Freitestung mit negativem Abstrich eine Option."

Die zweite Corona-Welle trifft Hessen hart: Befürchten Sie, möglicherweise die sogenannte Triage anwenden und damit über Leben und Tod entscheiden zu müssen?

"Nein, eine Triage werden wir im Krankenhaus Eichhof nicht anwenden. Natürlich gibt es Beschränkungen im Bereich der maximalen Therapie, diese erfolgt aber bei uns wie auch nach meiner Einschätzung und Kenntnis in allen Krankenhäusern in unserem Versorgungsgebiet klar nach Maßgabe und Behandlungswunsch der Patientinnen und Patienten."

Die Kliniken stehen auch vor großen finanziellen Herausforderungen: Welche Botschaften und Erwartungen haben Sie an die Politik?

"Die Krankenhäuser haben im Frühjahr mit großer Unterstützung durch Bevölkerung und Politik diese damals einmalige Situation hervorragend meistern können. Ich erinnere nur, wie fast hundert Mitbürgerinnen (und Mitbürger!) bei fehlender Schutzausrüstung an der Nähmaschine Masken für das Personal genäht haben.


Jetzt sind die Infektionszahlen höher, die Belegung auf hessischen Intensivstationen mit Covid19-Patienten viel dramatischer und die Lage in den Krankenhäusern erheblich angespannter. Gleichzeitig ist das Verfahren zur Erlangung von Unterstützungsleistung viel komplizierter geworden. Wir zum Beispiel haben nach aktueller Interpretation des Erlasses gar keine Aussicht auf Ausgleichszahlungen. Angesichts der Tatsache, dass die Krankenhäuser sich in einem bisher ungekannten Ausmaß an Vertrauen und Solidarität untereinander unterstützt haben (so hat auch das Krankenhaus Eichhof zum Beispiel Patienten aus dem Rhein-Main-Gebiet oder dem Main-Kinzig-Kreis übernommen), ist ein Abstrafen unserer Region und der Krankenhäuser hier vor Ort nicht gerechtfertigt. Aus meiner Sicht müssten sich die Krankenhäuser und insbesondere die Krankenpflegerinnen und -pfleger, die in dieser Situation die Versorgung der Corona-Patienten unter hohem Einsatz z.T. auch der eigenen Gesundheit leisten, auf die uneingeschränkte Unterstützung durch die politisch Verantwortlichen verlassen können."